- Mission: »Darum geht zu allen Völkern«
- Mission: »Darum geht zu allen Völkern«Mit der Aufklärung, der Französischen Revolution und der Säkularisation hatte das gesellschaftliche Ansehen der Orden einen Tiefstand in ihrer Geschichte erreicht, Klöster und religiöse Gemeinschaften waren als obskure Orte bornierter Fortschrittsfeindlichkeit angesehen worden, deren Besitz und Ländereien verstaatlicht werden sollten. Um so erstaunlicher mutet der Aufschwung des Missionsgedankens und der Orden im Gefolge der Erweckungs- und Erneuerungsbewegungen an; um die Mitte des 19. Jahrhunderts konnte sich nämlich eine Vielzahl neuer, oft regionaler Missionsgesellschaften etablieren. In diesen Missionsgemeinschaften, ebenso in den damit verbundenen zahlreichen Förderungs- und Unterstützungsvereinen engagierten sich immer stärker auch Laien und Weltpriester. So entstanden in kürzester Zeit überall in Europa und Amerika Vereinigungen wie die Mailänder Gesellschaft für ausländische Missionen (1850), die Missionare vom Heiligsten Herzen (1854), Afrikamissionen von Lyon und Verona (1856/67), die Weißen Väter (1864), die Gesellschaft vom göttlichen Wort (1875), die Sankt Josephs Gesellschaft von Baltimore (1892), die Schweizer Gesellschaft Bethlehem (1896) oder die Amerikanische Gesellschaft für ausländische Missionen (1911).In der Hauptsache hatten Kongregationen Zuwachs, die sich den bisher kirchlich vernachlässigten missionarisch-sozialen Anliegen widmeten. Dennoch konnten von dieser Entwicklung auch traditionelle Orden profitieren wie die nach 40-jährigem Verbot im 19. Jahrhundert wieder zugelassenen Jesuiten und die Redemptoristen, die ihre Zahl seit Mitte des Jahrhunderts verdoppeln konnten. Neben den Missionsorden bildeten sich auf breiter Basis Frauenvereinigungen mit sozial-caritativer Ausrichtung, die die bisher vorherrschenden kontemplativen Frauenorden ablösten oder ergänzten. Sie nahmen sich verstärkt der sozialen Probleme an, die durch Industrialisierung entstanden waren, und leisteten vor allem Bildungsarbeit, medizinische Betreuung und Krankenpflege oder Seelsorge in der Unterschicht, sowohl in den Großstadtvierteln als auch in den durch Landflucht entvölkerten, ländlichen Gebieten der Diaspora. Allein in Frankreich entwickelten sich auf diese Weise bis in die Achtzigerjahre 400 neue Frauenvereinigungen. Ihre hohe Zahl dokumentiert das offenkundige Fehlen gesellschaftlich anerkannter beruflicher Perspektiven für die Frauen und vor allem ihre fortschreitende Emanzipation, die sich zunächst in diesen Nischen vollzog. Merklich veränderten sich auch die inhaltlichen Schwerpunkte, Organisationsformen und Strukturen dieser Frauengemeinschaften: Während Frauenorden bisher meist als Ableger der entsprechenden Männerorden von diesen verwaltet wurden, oblag die Leitung nun Generaloberinnen. Viele Vereinigungen gingen aber auch von der Basis aus, entstanden aus losen Zusammenschlüssen, Kreisen von Bekannten, Freunden oder Gleichgesinnten, die in der Gemeindearbeit zueinanderfanden, sich eine Regel gaben und sich erst später - wenn überhaupt - um offizielle Anerkennung in der Kirche bemühten. Bei den Josephsschwestern von Cluny, die sich seit 1817 in der Afrika-Mission vor allem der Aufhebung der Sklaverei und der Bildung eines einheimischen Klerus widmeten, übernahmen erstmals Frauen Missionsaufgaben, ein Arbeitsfeld, auf das sich zunehmend dann auch traditionelle Frauenorden verlegten.Die Weltmission des 19. Jahrhunderts wäre ohne den Frömmigkeitsimpuls der Erweckungsbewegungen mit ihrer Betonung von Bekehrung und persönlichem Glauben undenkbar gewesen. Die Missionsarbeit und das soziale Engagement der neuen Missionsgemeinschaften stimmten sich auf die konkreten Verhältnisse in Übersee ab; vom Mutterhaus aus wurden die Hilfsaktionen koordiniert. Zuweilen war der Wunsch, in einer konkreten Notsituation zu helfen, sogar der Anlass zur Gründung der Gemeinschaft. Der »Kindheit-Jesu-Verein« etwa wurde 1843 ursprünglich als institutionelle Hilfe für chinesische Waisenkinder ins Leben gerufen. Auf Initiative der Missionare wurden Schulen und Krankenhäuser errichtet sowie technisches Know-how aus Europa in die entlegenen Missionsstationen transferiert. Als problematisch erwies sich dieses Vorgehen hingegen dort, wo die Überlegenheit der europäischen Kultur und die Segnungen der Zivilisation nur als Mittel zum Zweck der Taufe oder Bekehrung eingesetzt wurden beziehungsweise den Ureinwohner zum »Reis-Christen«, zum bloßen Hilfsempfänger, degradierten.Die Mission wurde durch einen regelrechten Forschungsboom begünstigt, in dem Dutzende von Forschern wie der russische Geograph Pjotr Semjonow-Tjan-Schanski oder der britische Forschungsreisende David Livingstone Zentralasien und Innerafrika erkundeten und damit neues Interesse für diese Länder weckten. Die Verbesserung der Verkehrswege durch die großen Schifffahrtsgesellschaften, die Ausweitung der europäischen Kolonien und die allmähliche Öffnung asiatischer Länder wie China und Japan, die bislang die Einreise vor allem von Missionaren restriktiv gehandhabt hatten, eröffneten außerdem neue Möglichkeiten der Verbreitung des Christentums. Protestantische Missionsgesellschaften wie die »Church Missionary Society« oder die »London Missionary Society«, die bei der englischen Bevölkerung starken Rückhalt genossen und sich die Vorherrschaft Großbritanniens zur See zunutze machten, konnten komplette Privatflotten betreiben; angesichts der ausgeprägten Konkurrenzsituation zwischen protestantischer und katholischer Mission konnten sie ihren Missionsstationen einen deutlichen Vorsprung verschaffen.Die Situation des Christentums in den jungen Ortskirchen stellte sich sehr uneinheitlich dar. Durchschlagende Erfolge waren bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts allerdings eher selten, was sich erst in der Kolonialzeit ändern sollte. So brachte die direkte Verwaltung Indiens durch die englische Krone seit 1857 zwar die Religionsfreiheit, das indische Kastenwesen ließ jedoch die Missionserfolge stagnieren, und die Missionsbemühungen konzentrierten sich auf die Unterschicht der Parias oder auf Randgruppen wie die entlegenen Volksstämme des Subkontinents. Ähnlich stellte sich die Situation in Birma, Ceylon und Thailand dar, wo sich Erfolge vor allem bei den benachteiligten Gruppen wie den Tamilen auf Ceylon oder den eingewanderten Indern und Chinesen in Birma zeigten. In Indochina und Korea wurden die Christen bis in die Achtzigerjahre immer wieder verfolgt, Repressionen unterworfen oder lebten im Untergrund. Die Verfolgungen in China hörten auf, als das Land 1848 unter französisches Protektorat geriet. Seine in mehreren Verträgen durchgesetzte Öffnung für die Mission, die klare Vergünstigungen für die Christen mit sich brachte, intensivierte noch den Fremdenhass, der sich 1870 im Massaker von Tientsin und noch 30 Jahre später im Boxeraufstand entlud.Die Afrikamission erzielte im Landesinneren nur spärliche Erfolge. Die fehlenden Verkehrswege, die Sprachprobleme und besonders die ungewohnten klimatischen Bedingungen führten dazu, dass von den europäischen Missionaren bis zu 80, 90 Prozent bereits in den ersten Jahren ihrer Missionstätigkeit an Malaria oder anderen Tropenkrankheiten starben. Daher konnte Afrika erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts systematisch missionarisch erschlossen werden.Die Mission der einheimischen Völker Lateinamerikas, die nach der Unabhängigkeit vollständig zum Erliegen gekommen war und sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erholte, setzte die staatlich erwünschte »Befriedung und Integration« der Ureinwohner in die Tat um - was allerdings zu deren weitgehender Ausrottung führte. Gelungene Missionen in Venezuela, Peru und Teilen Boliviens bedienten sich wie bereits im 17. Jahrhundert meist des Prinzips der Reduktionen, einer reservatähnlichen Siedlungsform, die die heimische Kultur gegen die europäische Ausbeutung abschotten konnte.Während im katholischen Missionsgebiet Bistümer gegründet wurden und traditionelle Kirchenstrukturen fortlebten, wurde die protestantische Mission nicht von Kirchen, sondern weitgehend von unabhängigen Missionsgesellschaften getragen. So entwickelten sich in protestantisch dominierten Gebieten, das heißt zunächst in Süd- und Westafrika sowie im Südpazifik und in China, bereits zeitgemäßere Missionsstrategien. Ihre Missionare wurden an speziellen Instituten geschult und gezielt auf ihre Aufgabe vorbereitet, für die sie detaillierte Instruktionen für Praxis und Lehre erhielten. Die meist international vernetzten Missionsinstitute wie die 1822 eingerichtete »Mission de Paris« wollten ein universelles evangelisches Christentum vermitteln - jenseits der konfessionellen Unterschiede zwischen Lutheranern, Reformierten und anderen. Besonderer Wert wurde darauf gelegt, die Unabhängigkeit der Gemeinden und ihre finanzielle und organisatorische Selbstständigkeit zu garantieren, was durch den einsetzenden Kolonialismus bald jedoch unmöglich wurde. Den Missionaren folgten die Kolonialherren; mit ihnen kam es zur völligen wirtschaftlichen, militärischen und administrativen Bevormundung der Länder; die Mission wurde schließlich zum Spielball im Kampf um englisch-protestantische und französisch-katholische Einflusssphären.Dr. Ulrich RudnickGensichen, Hans-Werner: Missionsgeschichte der neueren Zeit. Göttingen 31976.Geschichte der katholischen Kirche, herausgegeben von Josef Lenzenweger u. a. Neuausgabe Graz u. a. 1995.Geschichte des Christentums, Band 3: Krumwiede, Hans-Walter: Neuzeit. 17.—20. Jahrhundert. Stuttgart u. a. 21987.Die Geschichte des Christentums. Religion, Politik, Kultur, herausgegeben von Jean-Marie Mayeur u. a. Deutsche Ausgabe herausgegeben von Norbert Brox. Band 11: Liberalismus, Industrialisierung, Expansion Europas (1830—1914). Aus dem Französischen. Freiburg im Breisgau u. a. 1997.Grane, Leif: Die Kirche im 19. Jahrhundert. Europäische Perspektiven. Aus dem Dänischen. Göttingen 1987.Moeller, Bernd: Geschichte des Christentums in Grundzügen. Göttingen 61996.
Universal-Lexikon. 2012.